Odense – Altenpflege in Dänemark – läuft es dort wirklich so vorbildlich ab, wie alle immer sagen? Das wollte ich wissen, als ich für mein pflegewissenschaftliches Studium ein Praktikum in einem dänischen Pflegeheim machte, das sich auf die Begleitung von Menschen mit Demenz spezialisiert hatte. Und tatsächlich: Mit zwei Fachkräften, einer Auszubildenden und einer Hauswirtschaftskraft, die sich um zwölf pflegebedürftige Menschen kümmerten, war die Situation dort im Vergleich zu vielen deutschen Pflegeeinrichtungen geradezu paradiesisch.
Vor allem eines aus der Zeit hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen: Die gemeinsamen Mahlzeiten. Und gemeinsam meine ich in diesem Fall wörtlich, denn egal ob Bewohnerin oder Bewohner, Pflegefachkraft, Hauswirtschafterin oder ich als Praktikantin – wir alle haben uns zum Essen gemeinsam an die Tische im offenen Wohn- Essbereich gesetzt.
Wer schon mal zur Essenzeit in einem Pflegeheim in Deutschland war, wird in der Regel ein ganz anderes Bild kennen. Hier essen zwar oft Bewohnerinnen und Bewohner gemeinsam in Wohnküchen oder Speisesälen. Doch eine Pflegefachkraft oder Mitarbeitende der Küche setzen sich selten dazu – und wenn dann nicht, um selbst zu essen, sondern um Essen anzureichen.
Mir persönlich hat es in Dänemark viel besser gefallen als hier. Und ich habe mich gefragt, ob das nicht auch für die Ernährungssituation der alten Menschen im Pflegeheim, von denen ja einige an Mangelernährung leiden, förderlich wäre. Also habe ich mir dieses Thema in meinem Studium näher angeschaut – und möchte in diesem Beitrag mit euch teilen, was ich herausgefunden habe.
Tatsächlich ist Mangelernährung bei alten Menschen im Pflegeheim ein häufiges Problem. So sind einer Studie zufolge zwischen fünf und 71 Prozent der Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner unterernährt und 27 bis 70 Prozent sind von Unterernährung bedroht. Dass die Spanne so breit ist, liegt vermutlich daran, dass es eine Überblicksstudie war, in die mehrere Studien mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen einbezogen wurden. Für alle, die es genauer wissen möchte, liste ich unten die Quellen auf, die ich für diesen Beitrag verwendet habe.
Damit gefährdete Bewohnerinnen und Bewohner mehr Nährstoffe aufnehmen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel:
Neben diesen Maßnahmen, die sich auf das beziehen, was die Menschen essen, gibt es aber noch andere Wege. Diese wirken sich eher auf die Situation und Atmosphäre aus, in der gegessen wird. Das ist aus meiner Sicht noch wichtiger, denn Essen und Trinken spielt in unserem Leben eine wichtige Rolle – ganz egal, ob wir pflegebedürftig sind oder nicht. Die Bedeutung von Mahlzeiten ist verbunden mit Traditionen, manchmal auch Religion, individueller Einstellung und persönlichem Geschmack. Kurzum: Es ist eine Form, man selbst zu sein und sich an seine Wurzeln zu erinnern.
Nicht nur, aber vor allem im Pflegeheim ist jede Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, bedeutsam. Dazu gehört auch was, mit wem und wann jemand isst. Sind diese Wahlmöglichkeiten gegeben, ermöglicht das ein gesundes Verhältnis zum Essen, Zufriedenheit und Lebensfreude.
In der Realität läuft die Ernährung im Pflegeheim aber häufig anders ab. Dafür gibt es verschiedene Gründe. So äußern viele Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen ihre Bedürfnisse bei den Mahlzeiten nicht, weil das ihn ihrer Generation oder Kultur nicht üblich ist und sie keinem zur Last fallen möchten. Manche Menschen sind auch aufgrund von Einschränkungen, zum Beispiel einer Demenz, nicht in der Lage auszudrücken, was sie möchten.
Hinzu kommt, dass eine individuelle Begleitung von pflegebedürftigen Menschen bei den Mahlzeiten viel Zeit und kostet. Und die ist beim Personal der meisten Pflegeheime hierzulande Mangelware. Auch die Umgebung und Atmosphäre beim Essen ist oft nicht gerade darauf ausgerichtet, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner wohl fühlen.
Leider wird das Thema Ernährung im Pflegeheim eher stiefmütterlich behandelt – schließlich gibt es so viele Probleme in der Pflege, die aus der Sicht vieler dringender sind. Dabei glaube ich, dass die positive Wirkung von genussvollem Essen und Trinken auch einige andere Schwierigkeiten abschwächen könnte, etwa, weil die Bewohnerinnen und Bewohner ausgeglichener wären und dadurch vielleicht an anderer Stelle weniger Betreuung bräuchten.
Aus dem, was ich zum Thema Ernährung im Pflegeheim herausfand, habe ich einige konkrete Empfehlungen abgeleitet.
Die Umgebung:
Soziale Kontakte:
Betreuung und Begleitung:
Der Zeitfaktor:
Schon klar, dass diese Empfehlungen zu Ernährung im Pflegeheim nur umgesetzt werden können, wenn es ausreichend Personal gibt, das dafür geschult ist und von seinen Vorgesetzten dabei unterstützt wird. Aber ich gehe das ganz naiv an und frage: Wenn das in Dänemark möglich ist – warum dann nicht auch bei uns?
Dieser Beitrag wurde am 9. August 2020 veröffentlicht.
Aufmacherfoto: Brett Jordan/Unsplash
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2 Kommentare
Guten Tag, ich bin durch Zufall auf Ihren Blog gestoßen, und lese mich gerade durch ganz viele Artikel von Ihnen…Toller und lesenswerter Blog !!! Es stimmt, die Umgebung und das Miteinander essen würde schon soviel bringen. In anderen Ländern funktioniert soviel mehr, mich macht das ganz traurig, das hier nix passiert. Ich bin Schülerin zur Pflegefachkraft, und habe Angst, das ich diesen Beruf gar nicht lang ausführen werde, weil die Rahmenbedingungen einfach nicht stimmen. Satt&Sauber, keine Zeit für Gespräche, viele Bewohner alleine mit ihren Sorgen und Gedanken. Personal, das schon seit Jahrzehnten angestellt ist, und nicht offen für Neues ist…Einrichtungen, die nur Gewinn machen wollen. Dieser Beruf ist in Deutschland immer noch nicht angesehen. Wenn ich erzähle, wo ich arbeite, dann kommt meistens “ Igitt, das könnte ich nicht“. Erzähle ich aber, das ich nach meiner Ausbildung noch studieren kann ,dann ist die Reaktion “ Waaas? Wow, das ist ja super!“ Schon wird man anders gesehen…. Mein Beruf ist so toll, ich rege mich nicht auf über Gehalt oder Arbeitszeiten , es sind die vielen traurigen Momente und die vielen Hindernisse und alten Denkweisen und Sparmaßnahmen, die es so schwer machen. Ware -> Mensch… So, wie es in vielen Einrichtungen läuft, hat das nichts mit Respekt für die Älteren und Kranken zu tun.
Freundliche Grüße, ich werde Ihnen weiterhin folgen.
Mella
Liebe Mella,
vielen Dank für Ihren ausführlichen und ehrlichen Kommentar, der zum Nachdenken anregt. Es wäre schön, wenn Menschen wie Sie den Pflegeberuf grade sehr lange ausüben und etwas zum Positiven verändern würden. Ich freue mich sehr, dass Sie mir folgen.
Ganz liebe Grüße
Kati