Falkau – Vor einiger Zeit bekam ich eine E-Mail von der Uni Witten/Herdecke, an der ich von 2013 bis 2017 einen Master in „Multiprofessionelle Versorgung von Menschen mit Demenz“ gemacht habe. Man habe mich für eine Alumnibefragung ausgewählt, da ich eine große berufliche Entwicklung durchlaufen hätte. Die Fragen zielten auf die Beweggründe für das Studium, die Erfahrungen währenddessen sowie die Empfehlungen, die sich daraus für Studieninteressierte ableiten lassen.
Wie es der Zufall so wollte, hatten drei ehemalige Kommilitoninnen und ich geplant, uns wenig später im Schwarzwald zu einem „Witten-Revival“ zu treffen. Der Hüttenzauber wurde leider etwas von Dauerregen getrübt (wenn ich mal im Süden bin ist natürlich Schietwetter, schon klar) – die ideale Gelegenheit, um gemeinsam in Erinnerungen zu schwelgen und meine eigene Alumni-Befragung zu starten.
Aber erst mal sollte ich vielleicht erklären, wofür der umständliche Name steht. Der Masterstudiengang „Multiprofessionelle Versorgung von Menschen mit Demenz“ hat zum Ziel, Menschen aus Gesundheits- und Nichtgesundheitsberufen zu Experten für Demenz auszubilden. In acht Modulen können die Studierenden berufsbegleitend Demenz und die damit verbundenen Versorgungsanforderungen aus den Perspektiven verschiedenster Disziplinen betrachten. Die Universität Witten/Herdecke wurde aus dem anthroposophischen Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke heraus gegründet, sodass man auch Seminare zu anthroposophischer Medizin und anderen Bereichen der Lehre Rudolf Steiners belegen kann.
Ebenso bunt, wie die Studieninhalte, ist auch unsere kleine Gruppe. Katharina arbeitet als Fach-Referentin Demenz in einem Wohlfahrtsverband. Warum sie das Studium begonnen hat? „Ich wollte mich fundiert mit den Themen Demenz und alternde Gesellschaft auseinandersetzen“, sagt sie. Außerdem ist die heute 59-Jährige 1979 ohne Abschluss von Uni abgegangen. „Den habe ich dann 34 Jahre später nachgeholt.“ Katharina hat den Master in der Regelstudienzeit gemacht – als einzige von uns vieren.
Gyde ist Sozialpädagogin und in der Schweiz in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung angestellt. Nach vielen Jahren in leitender Position war sie (auf eigenen Wunsch) erstmals wieder „einfache“ Angestellte, fühlte sich aber nicht so recht gefordert. Mit 56-Jahren suchte sie daher nach einer zusätzlichen Aufgabe. „Das Thema hat mich gesucht. Zum Beispiel las ich ein Zeitungsartikel, in dem Menschen mit Demenz als Post-Personen bezeichnet wurden“, sagt sie. „Das hat mich furchtbar aufgeregt.“ Wenig später bekam sie das Buch „Der alte König in seinem Exil“ von Arno Geiger geschenkt und sah den Film „Vergiss mein nicht“ von David Sieveking. Also begann sie zu recherchieren, stieß bald auf den gerade neu eingeführten Studiengang „Multiprofessionelle Versorgung von Menschen mit Demenz“ – und meldete sich an. Aktuell hat Gyde ein Urlaubssemester eingelegt – die Doppel-Belastung Vollzeitjob und Studium (auch wenn es berufsbegleitend konzipiert ist) war einfach zu viel. Sie will aber jetzt wieder einsteigen und 2018/19 ihre Masterarbeit schreiben.
Ich bin jetzt 38 und war zu Beginn des Studiums Redakteurin in einer PR-Agentur, die nichts mit Pflege oder Demenz zu tun hatte. Auf das Studium bin ich gekommen, weil ich nach der Demenzerkrankung meines Opas begann, mich für das Thema zu interessieren und ein wenig die Sinnhaftigkeit in meiner Arbeit vermisste. Mittlerweile arbeite ich als Redakteurin für ein Magazin für Pflegefachpersonen, berate ein Altenpflegeheim bei der Öffentlichkeitsarbeit und blogge über das Alter. Meinen Abschluss habe ich mit etwas Verspätung im 7. Semester gemacht. Auch wenn bei dem Studium sicher noch Luft nach oben ist – ich habe es nie bereut und bin dankbar für die neuen beruflichen Perspektiven, die es mir eröffnet hat.
Doch das war leider nicht bei uns allen so. Susan, mit 32 Jahren unser Küken, ist Diplom-Sozialpädagogin im frühkindlichen Bereich in einem Wohlfahrtsverband. „Ich wollte mich beruflich über den Universitätsweg fortbilden – auch in der Hoffnung auf mehr Chancen am Arbeitsmarkt“, sagt sie. Demenz hat sie immer schon gereizt und interessiert. Trotzdem hat sie sich in dem Studium und der Art der Ausrichtung der Inhalte nicht wiedergefunden. Vor allem das Forschen lag der Vollblut-Praktikerin nicht. Im Januar 2016 entschied sie sich, das Master-Studium „Multiprofessionelle Versorgung von Menschen mit Demenz“ am der Uni Witten/Herdecke abzubrechen. „Auf mein Gefühl zu hören, war ein schwerer, aber für mich persönlich sehr wichtiger Schritt“, sagt Susan heute.
Ob bis zum Ende studiert, abgebrochen oder noch dabei – wir alle haben Lob für das Studium parat. So hat uns beispielsweise gut gefallen, dass die Kurse recht klein waren (rund 10 bis 20 Studierende). „Das hatte was Familiäres. Ich war nicht nur eine anonyme Nummer sondern hatte persönlichen Kontakt mit den Dozenten, die meine Sorgen und Probleme ernst genommen haben“, sagt Susan. Durch den multiprofessionellen Ansatz und die Möglichkeit, berufsbegleitend zu studieren, war die Zusammensetzung der Gruppen außerdem recht divers. Der Altersunterschied zwischen einzelnen Studierenden lag teilweise bei fast 30 Jahren. Und was die Berufsgruppen angeht, war vom Offizier der Bundeswehr über die Pflegedienstleiterin bis hin zum Versicherungswirt alles dabei. Das sorgte oft für Kontroversen im Seminarraum. „Ich habe festgestellt, dass wir Sozialpädagogen ganz anders denken als Pflegende – da sind Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit vorprogrammiert“, so Gyde.
Verbesserungsbedarf sahen wir bei Methoden und Didaktik. Zu viel Frontalunterricht, zu wenig Gruppenarbeit und Praxisanteile. Auch die Organisation und die Dozentenauswahl kamen bei uns nicht immer gut an – wir hätten uns manchmal eine klarere inhaltliche Struktur gewünscht. Fairerweise muss ich an dieser Stelle aber anmerken, dass wir erst der zweite Jahrgang in dem Studiengang waren und einige Dinge sich vermutlich noch einspielen mussten. 2017 startete der fünfte Jahrgang, dieses Jahr zum Wintersemester beginnt der sechste und ich nehme an, dass sich mittlerweile einiges getan hat.
Als gestandene Frauen mit mehrjähriger Berufserfahrung fühlten wir uns „zurück an der Uni“ zudem manchmal nicht adäquat angesprochen und bei unserem Kenntnisstand abgeholt. Da wir mit Kritik für gewöhnlich nicht hinterm Berg hielten, kam es dann auch zu der einen oder anderen hitzigen Diskussion mit den Mitarbeitern der Uni.
Der berufsbegleitende Aufbau des Studiums, das sich hauptsächlich in Heimarbeit sowie etwa zehnmal im Jahr in dreitägigen Präsenzphasen abspielte, empfanden manche von uns als ziemlich anstrengend. „Man tauchte in Witten in eine Blase ein und danach wieder auf in die Realität“, sagt Susan. Auch mussten wir (die im Erststudium zum Teil noch mit Zettelkatalogen gearbeitet hatten) in Sachen wissenschaftlichem Arbeiten und der Handhabung digitaler Datenbanken einiges nachholen. Das war anstrengend, rückblickend betrachtet aber ein großer Gewinn für uns.
Nicht nur in puncto wissenschaftliches Arbeiten, auch in der Praxis haben wir uns durch das Studium einige neue Skills angeeignet. So fühlt sich Katharina, die selbst als Dozentin arbeitet, heute vor Gruppen sicherer und kompetenter. „Mir fällt es außerdem leichter, etwas zu konzipieren und zu erarbeiten“, sagt sie. Das geht mir auch so, außerdem habe ich als totale Quereinsteigerin sämtlichen Input rund um Demenz und Altenpflege nur so in mich aufgesogen – und freue mich, dass ich sie heute im Job so häufig brauchen kann.
Die Sozialpädagoginnen unter uns haben durch den Blick übern Tellerrand vor allem eines festgestellt: Wie sehr sie in ihre eigene Profession schätzen. „Ich habe mich in meiner Arbeit mit Kindern wieder stärker etabliert – auch, weil ich durch das Studium herausgefunden habe, was ich nicht will“, sagt Susan. Gyde ist wieder bewusst geworden, wie modern und partizipativ die Haltung ihres Berufsstands ist. Außerdem hat sie eine richtig spannende Forschungslücke gefunden, mit der sie sich in ihrer Masterarbeit beschäftigen will: Die Doppel-Diagnose Demenz und geistige Behinderung, insbesondere bei Menschen mit Trisomie 21, die mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu 75 Prozent ab einem gewissen Alter eine Demenz entwickeln. Ich halte euch auf dem Laufenden, wenn Gyde den Master hat, will ich unbedingt darüber berichten, was sie herausgefunden hat.
Beruflicher Zugewinn hin oder her – auf der persönlichen Ebene haben wir alle von dem Studium profitiert. Da ist zum einen die Selbstbestätigung. „Ich habe mir bewiesen, dass ich es schaffen kann“, sagt Katharina. Auch genossen wir es alle sehr, regelmäßig in die „Wittener Parallelwelt“ einzutauchen, inspirierende Menschen kennenzulernen und neue Freundinnen zu finden. „Allein, dass wir uns jetzt treffen, ist so wertvoll. Es wäre schön, wenn wir das aufrecht erhielten“, sagt Gyde. Das finde ich auch. Und wer weiß – wenn wir es hinkriegen, berichte ich vielleicht nächstes Jahr wieder von den fabulösen Witten-Mädels.
Mehr Infos: Hier findet ihr einen Blog-Beitrag, den ich über unsere Kommilitonin Ute geschrieben habe
Dieser Artikel wurde am 15. April 2018 veröffentlicht.
2 Kommentare
Ich freue mich jetzt schon auf Deinen Bericht über die Kurs 4 Ladies! Denn wir haben es sowas von verdient! 😉
Sehr gerne – dann müsstet ihr mich allerdings zu eurem „Revival“ einladen 😉 Wann ist es denn soweit?