Berlin – Wir treffen uns auf einer Brücke im Berliner Kiez Schöneberg. Es ist einer dieser glühend heißen Sommertage, von denen wir dieses Jahr in der Hauptstadt so viele hatten. Vanessa, mit der ich heute zum Interview verabredet bin, führt mich in ein unscheinbares Café mit einem schönen Innenhof. Im Schatten bei Tee und Apfelschorle lässt es sich trotz der Hitze aushalten und ich schaffe es, mich auf meine Fragen zu konzentrieren. Zum Glück, denn ich bin sehr gespannt auf diese Frau mit dem ungewöhnlichen Beruf – Sex-Coach.
Vanessa, du berätst als Sex-Coach Altenpflegeeinrichtungen – wie kann ich mir deine Arbeit vorstellen?
Vanessa: Im Alter bleibt das Verlangen nach Sex erhalten. Es kann aber auch sowohl nachlassen als auch verstärkt werden. Ist letzteres bei einem pflegebedürftigen Menschen der Fall, führt das häufig zu großer Unsicherheit beim Pflegepersonal. In meinen Schulungen sensibilisiere ich die Mitarbeiter von Pflegeheimen für dieses Thema – und versuche, ihren Blick für das Wesentliche zu schärfen.
Und was genau ist das?
Vanessa: Das ist natürlich von Fall zu Fall unterschiedlich. Es gibt da kein Schema F. Generell lässt sich aber sagen, dass Sexualität der Inbegriff von Lebendigkeit ist. Ein Grundbedürfnis – ebenso wie Essen oder Schlafen. Doch wenn ein Bewohner eines Pflegeheims einen starken Sexualtrieb zum Ausdruck bringt, tun sich Pflegende oft unheimlich schwer, entsprechende Schritte in die Wege zu leiten.
Woran liegt das?
Vanessa: Sexualität ist für viele Menschen nach wie vor ein Tabuthema. Das hat verschiedene Ursachen, oft ist es in der Erziehung, Sozialisation oder auch kultureller und religiöser Prägung begründet. Deshalb versuche ich, bei den Pflegenden Verständnis für die Bedürfnisse der Bewohner zu wecken und gemeinsam mit Ihnen nach Lösungen zu suchen, die allen Beteiligten gerecht werden.
Welche Schritte wären denn aus deiner Sicht hilfreich?
Vanessa: Auch das hängt von der individuellen Person ab. Die Möglichkeiten reichen von Gesprächen und der Unterstützung von Frauen in ihrer Weiblichkeit, über das Bereitstellen von Magazinen, erotischen Filmen und Vibratoren bis hin zu Dildo-Partys oder einer Sexualbegleitung. Erlangen die Bewohner auf diese Weise Befriedigung, kann sich das sehr positiv auf ihren Allgemeinzustand auswirken: sie schlafen besser, sind gut gelaunt und aktiver.
Ich kann mir vorstellen, dass nicht alle Pflege-Einrichtungen bereit sind, solche Maßnahmen zu ergreifen.
Vanessa: Das stimmt. Neben den schon angesprochenen Ressentiments der Mitarbeiter ist das auch eine Frage des Geldes. Denn die Kosten, zum Beispiel für Sexualbegleiter oder die Anschaffung eines Dildos, werden nur in Ausnahmefällen von der Pflegekasse übernommen. Und auch die Angehörigen oder gesetzlichen Betreuer sind nicht immer damit einverstanden.
Was passiert denn, wenn nicht auf die Bedürfnisse eingegangen wird?
Vanessa: Die Folge ist häufig herausforderndes Verhalten. Manche Bewohner werden aggressiv oder sexuell übergriffig gegenüber ihren Mitbewohnern oder dem Pflegepersonal. Andere zerstören ihr Inkontinenzmaterial. Es gibt auch zahlreiche Fälle, in denen Klobürsten und andere Gebrauchsgegenstände als Dildos missbraucht werden – Chirurgen können ein Lied davon singen.
Ist in puncto Kostenübernahme eine Neuerung absehbar?
Vanessa: Ich wünsche es mir und kann es mir vorstellen. Spätestens wenn die Alt-68er in die Heime ziehen, wird Sexualität nochmal einen ganz anderen Stellenwert in der Pflege bekommen. Und schon heute fordern sowohl die Heimaufsicht als auch der MDK (Anmerkung von Kati: Medizinischer Dienst der Krankenkassen), dass Pflegeheime Schulungen zu dem Thema abhalten.
Weitere Informationen findet ihr auf der Webseite von Vanessa del Rae
Dieser Artikel wurde am 16. September 2018 veröffentlicht
Aufmacherfoto: ©fizzfoto
1 Kommentar
Hallo Frau Vanessa del Rae,
Ich finde es großartig Ihre Projekt und Engagement bei die Thema Sex Free in die Praxis Altenpflegeeinrichtungen für die Altere Menschen zu ermöglichen. Ich absolviere Gesundheit- und Krankenpflege Assistenten (GPA) in Hamburg. Ich liebe diese Pflege Beruf. Ich freue mich sehr mehr zu lernen und erkennen , mehr wissen und mehr zu erfahren etc…Danke und alles gute!
Solomon