Hamburg – Wer öfter auf Demonstrationen, Kundgebungen oder Mahnwachen unterwegs ist, hat sie bestimmt schon mal bemerkt: Frauen jenseits der 50, mit schlichten, weißen Plakaten, auf denen in schwarzen Großbuchstaben die Aufschrift „OMAS GEGEN RECHTS“ steht.
Mir fiel eine von ihnen zum ersten Mal am Rande einer „Fridays for Future“-Demo auf. Ich war begeistert von der Initiative und nahm mir vor: Über die möchte ich auf meinem Blog schreiben. Bis ich dieses Vorhaben in die Tat umsetzen konnte, hat es nun eine ganze Weile gedauert. Umso glücklicher bin ich, dass ich – trotz erschwerter Corona-Bedingungen – mit Andrea Herzog (siehe Foto oben, erste Reihe links) sprechen kann, eine der Gründerinnen der Hamburger „Omas“.
„Wofür genau stehen denn die Omas gegen Rechts?“, will ich von Andrea wissen. „Wir wollen unseren Kindern und Enkeln eine demokratische, rechtstaatliche und bessere Welt hinterlassen“, sagt sie. Im Gegensatz zu jüngeren Menschen, die häufig durch Beruf und Familie stark eingespannt seien, hätten viele „Omas“ die nötige Zeit, sich öffentlichkeitswirksam dafür einzusetzen – etwa, indem sie gegen Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung demonstrieren.
Bei den Rechten kommen die Aktivistinnen freilich weniger gut an. Doch selbst Bedrohungen und Beleidigungen, wie sie Omas gegen Rechts in Berlin oder Halle erlebt haben, schüchtern Andrea und ihre Mitstreiterinnen nicht ein. „Das lassen wir uns nicht gefallen – aufrecht gehen ist Bürgerpflicht.“
Gegründet im Herbst 2017 in Österreich, schwappte die Initiative Omas gegen Rechts im Januar 2018 nach Deutschland über, wo es mittlerweile regionale Gruppen in zahlreichen Städten und Ortschaften gibt.
Für ihr Engagement wurde die bundesweite Initiative Omas gegen Rechts kürzlich mit dem Paul Spiegel Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland ausgezeichnet (für mehr Infos dazu habe ich euch hier einen Artikel der Jüdischen Allgemeinen verlinkt).
In Hamburg starteten Andrea und Dörte Schnell Anfang 2018 einen Aufruf auf Facebook, es folgten erste Treffen in Kneipen, dann eine Teilnahme am Ostermarsch sowie an einer Demo gegen die rechtsextreme Partei AFD in Berlin. Inzwischen gibt es über 200 aktive „Omas“ in Hamburg, die sich aus den Gruppen „Hamburg“, „Hamburg Süd“ und „Bergedorf“ zusammensetzen.
„Wir sind kein Verein, sondern ein paar ältere Frauen, die ,einfach mal gemacht’ haben“, betont Andrea. Und das sei auch gut so, schließlich könne man auf diese Weise viel kreativer und beweglicher handeln, als eine Organisation mit starren Strukturen. Mitmachen können alle, die sich mit den Grundsätzen der „Omas“ identifizieren – auch jüngere Menschen und „Opas“ sind vereinzelt dabei. Welche Grundsätze sie genau verfolgen, haben die Omas gegen Rechts Hamburg auf einem Flyer zusammengefasst.
Dass Andrea bei den „Omas“ mitmischt, ist indes kein Zufall. „Ich war schon immer politisch“, sagt sie, die in der Nachkriegszeit in der DDR aufgewachsen ist. Jahrgang 1952, lebte sie zunächst bei ihren Großeltern in Meißen (Sachsen). Dann zog sie zu ihren Eltern, die in den Westen geflohen waren, in eine Kleinstadt bei Stuttgart (Baden-Württemberg). Dort fühlte sich Andrea zunächst sehr fremd. „Die Menschen dort in der Kleinstadt waren misstrauisch gegenüber „Flüchtlingen“. „Ich fiel ja in der Grundschule durch meine Kleidung, den Schulranzen und den Dialekt sofort auf“, berichtet sie, „meiner Mutter wurde nicht zugetraut, eine ordentliche, saubere Hausfrau zu sein.“
Mit der Zeit lebte sie sich ein, pflegte aber weiter enge Beziehungen zu Freunden und Verwandten in der DDR. Bei ihren Besuchen dort erlebte sie historische Ereignisse wie die Schließung der Grenzen 1961 oder den Prager Frühling 1968 aus der Perspektive der Ostbevölkerung. „Das hat mich politisiert, wobei ich nicht nach Rechts gerückt oder zur Kommunistenhasserin geworden bin, sondern mich fortan für einen demokratischen Sozialismus eingesetzt habe“, sagt sie.
Während ihres Lehramtsstudiums in Freiburg, das sie Anfang der 1970er-Jahre aufnahm, engagierte Andrea sich vor allem im sozialen Bereich, gegen Atomenergie und für Hausbesetzungen. „Ich war keine organisierte Hardlinerin, würde mich eher den Spontis oder den Alternativen zuordnen“, sagt sie. Nach dem Studium, dem Berufsstart als Lehrerin und der Geburt ihrer beiden Kinder verschoben sich ihre Prioritäten zunächst, aber sie blieb stets politisch interessiert und weiterhin sozial engagiert.
In den 1990er-Jahren, Andrea lebte mittlerweile mit ihrer Familie in Hamburg, kamen infolge des Balkankriegs viele Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland. „Ich wollte etwas tun und gründete eine Gruppe für Frauen und Kinder aus der Kriegsregion“, sagt sie.
2015, zwischenzeitlich hatte sie den Schuldienst quittiert und leitete einen Hörbuchverlag, suchten Hunderttausende Menschen, überwiegend aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, Schutz in Deutschland. Viele Menschen in Deutschland engagierten sich spontan, wollten helfen. Andrea war eine von ihnen, unterrichte unter anderem Deutsch in einer Erstunterkunft.
Bestürzt beobachtete sie, wie in der Folge die Stimmung kippte und ein Rechtsruck das Land erschütterte, der sich in der Pegida-Bewegung, dem großen Zulauf der AFD, aber auch rechten Tendenzen in Polizei und Verwaltung äußerte. Dann gingen die Omas gegen Rechts an den Start und Andrea war sofort Feuer und Flamme. „Das war etwas Neues, das genau zu mir passte, da wollte ich mich einbringen“, sagt die heute 68-Jährige, die inzwischen im Ruhestand und Oma eines Enkels ist.
Aktuell ist leider auch die Arbeit der Omas gegen Rechts durch die Corona-Pandemie eingeschränkt. Zwar verlegten die Hamburger „Omas“ ihre regelmäßigen Zusammenkünfte zuerst nach draußen und konnten dann einen großen Raum beim FC St. Pauli nutzen. Zurzeit läuft der Austausch jedoch vor allem per „Zoom“ ab und einige Aktionen mussten abgesagt werden. „Viele von uns gehören ja zur Risikogruppe“, sagt Andrea.
Als die ersten „Querdenker“-Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen aufkamen, versuchten Andrea und ihre Mitstreiterinnen zunächst, mit den Menschen zu sprechen. „Nach kurzer Diskussion war uns allen schnell klar: Die verfolgen keine Oma-Positionen, sondern eine wirre Mischung aus esoterischen, verschwörungstheoretischen, rassistischen und antisemitischen Ansichten“, berichtet Andrea. Wenn bei einer Aktion Rechte mitmarschieren, ist das für sie zudem ein absolutes No-Go. „Egal, ob dort auch ein paar nette Hippies anzutreffen sind.“
Die Website des Bündnisses der „Omas gegen Rechts“ lautet: www.omasgegenrechts-deutschland.de
„Omas gegen Rechts“ in Norddeutschland haben zudem auch eine eigene Seite: www.omasgegenrechts-nord.de
Eine weitere Seite, auf der einige Gruppen der „Omas“ Infos veröffentlichen, findet ihr unter diesem Link: www.omasgegenrechts.de
Bei den folgenden Facebook-Gruppen könnt ihr eine Aufnahme anfragen:
Omas gegen Rechts Deutschland
www.facebook.com/groups/OMASGEGENRECHTSDeutschland
Omas gegen Rechts Nord
www.facebook.com/groups/299282884028074
Omas gegen Rechts Hamburg
www.facebook.com/groups/hamburgundrundum
Auch auf Twitter sind die „Omas“ vieler Städte vertreten, hier ist der Link zur Hamburger Gruppe Omas_gegen_Rechts_Hamburg:
twitter.com/OmasHamburg
Außerdem haben zahlreiche regionale Gruppen eigene Internet- und Facebook-Seiten, die ihr am besten über Internet-Suchmaschinen oder die Facebook-Suche findet. Dafür einfach die Stichworte „Omas gegen Rechts“ und euren Wohnort oder die nächstgrößere Stadt eingeben.
Dieser Beitrag ist am 20. Dezember 2020 erschienen.
(Aufmacher-Foto: Ernst Wilhelm Grüter)
2 Kommentare
Vielen Dank für den tollen Bericht. Die OMAS GEGEN RECHTS Deutschland-Bündnis haben eine Webseite, dort sind auch alle Regionalgruppen gelistet.
omasgegenrechts-deutschland.de
Liebe Grüße Eveline
Super geschriebener und informativer Artikel :-). In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen