wei Männer stehen am Wasser, zwischen ihnen steht eine parkende Fahrradrikscha

Eine Fahrradrikscha für Senioren Blog kati cares

Fahrradrikscha für Senioren

„KOMM, WIR FANGEN LÄCHELN EIN“

Fahrradfahren, draußen sein und die Umgebung erkunden – was für viele von uns im Frühling dazu gehört, bleibt für pflegebedürftige Menschen oft ein unerfüllter Wunsch. Die Initiative Radeln ohne Alter ändert das.

Berlin – Günter ist bereit. Er drückt seine Zigarette in den Aschenbecher, stemmt sich aus seinem Rollstuhl und setzt sich auf die Bank der Fahrradrikscha, die gegenüber parkt. Ich quetsche mich neben Günter. Erwartungsvoll blicken wir zu Bernd. Der hochgewachsene Mann mit den grau melierten kurzen Haaren beugt sich zu uns herunter und schnallt uns an. Dann nimmt er selbst im Sattel der Rikscha Platz. Es kann losgehen.

Fahrradrikscha für Senioren – Kati Cares mit Pflegeheimbewohner Günter

Günter und ich machen noch ein Selfie, dann geht es los

Bernd ist Krankenpfleger, Psychologe und Dozent und Trainer im Gesundheitswesen. Heute ist er aber ehrenamtlich für die Initiative Radeln ohne Alter im Einsatz. Unter dem Motto „Das Recht auf Wind im Haar“ nimmt er Bewohner von Alters- und Pflegeheimen mit auf Ausfahrten mit der Fahrradrikscha. Die Idee stammt aus Dänemark, mittlerweile ist daraus ein globales Netzwerk mit 30 Standorten weltweit geworden. In Berlin unterhält der Verein insgesamt fünf Rikschas, eine davon in Günters Pflegeheim in Kreuzberg. Das Angebot ist für die Bewohner kostenlos, Bernd und die anderen Fahrer arbeiten unentgeltlich, die Rikschas sind spendenfinanziert.

Eine Fahrradrikscha für Senioren

Engagiert sich ehrenamtlich bei Radeln ohne Alter: Bernd aus Kreuzberg

TEILHABE DANK FAHRRADRIKSCHA FÜR SENIOREN

Vorsichtig bugsiert Bernd die Fahrradrikscha über den Hof, durch einen schmalen Durchgang auf die Straße. Günter und ich heben die Arme, damit wir nicht an die Wand stoßen. Weiter geht es über Kopfsteinpflaster, Günter und ich werden ordentlich durchgerüttelt. Doch das stört uns nicht. „So ist das eben in Kreuzberg“, sagt Bernd. Als wir an der nächsten Kreuzung eine Baustelle passieren, beginnt mein Mitfahrer zu fachsimpeln. „Die sanieren wohl die Heizung – das dauert schon ewig!“ Günter muss es wissen, er hat früher selbst auf dem Bau gearbeitet.

Fahrradrikscha für senioren

Draußen sein, neue Eindrücke sammeln: Günter genießt es, mit der
Fahrradrikscha durch seinen Kiez zu fahren

Es ist einer der ersten richtig schönen Frühlingstage in Berlin. „Herrlich, die Luft“, sagt Günter, der es offensichtlich sehr genießt, bei dem Wetter draußen zu sein. Die Sonne knallt ganz schön und ich bin froh, dass ich am Morgen Sonnencreme aufgetragen habe. Günter ist da weniger zimperlich: „Ich bin das gewohnt vom Arbeiten, da hab ich mich auch immer ausgezogen.“

MIT DER FAHRRADRIKSCHA FÜR SENIOREN UNTEWEGS IN „ARBEITERKREUZBERG“

Bevor Günter in das Pflegeheim gezogen ist, hat er sein Leben lang in Kreuzberg gewohnt, genauer in „SO 36“, was für die alte Bezeichnung des Berliner Postzustellbezirks Südost 36 steht. Das ist das „Arbeiterkreuzberg“, wie Günter mir erklärt. Gern denkt er an die Zeit zurück, als er mit seinen Kumpels im Vorgarten grillte. „Das war herrlich!“

Zwei Männer sitzen auf einer Fahrradrikscha, einer fährt, der andere sitzt

Rauf auf die Fähre: Günter (vorn) und Bernd unterwegs mit der Rikscha

Günter nutzt das Angebot von Radeln ohne Alter regelmäßig. Die Anmeldung erfolgt über den Empfang des Pflegeheims oder direkt per Mail an Bernd. Wohin es geht, bestimmen die Bewohner. Unser Ziel heute sind der Treptower Park und die Rummelsburger Bucht, von wo wir eine Fähre der BVG auf die andere Seite nehmen wollen.

DIE FAHRRADRIKSCHA FÜR SENIOREN ERFÜLLT WÜNSCHE

Unterstützt von dem Elektromotor der Rikscha chauffiert uns Bernd durch die Straßen und Parks von Berlin. Wenn nötig, schlängelt er sich dabei sogar ganz elegant durch Fahrradbarrieren. Ich bin schwer beeindruckt, hat mir Bernd doch früher am Tag eine kleine Schulung in Sachen Rikschafahren gegeben, bei der ich festgestellt habe, dass das gar nicht so einfach ist – vor allem in den Kurven!

Kurz vorm Fähranleger kommen wir an einer Neubausiedlung mit blühenden Kirschbäumen und Blick aufs Wasser vorbei. „Das sieht schön aus“, sage ich, nach meinen jüngsten Erfahrungen mit dem angespannten Wohnungsmarkt der Hauptstadt sensibilisiert für lebenswerte Plätze. „Die haben auch ne schöne Miete“, kontert Günter. Kurz darauf korrigiert er sich aber: „Die vermieten sie nicht, die verkaufen sie lieber.“ Da solle mal einer sagen, es gebe keine Reichen in Berlin. Ich merke: Der Mann hat den Durchblick.

Zwei Männer sitzen auf einer Fahrradrikscha und schauen aufs Wasser

Einmal mit der BVG-Fähre die Rummelsburger Bucht überqueren – Bernd (rechts) erfüllt Günter einen Wunsch

Die Fährüberfahrt ist kurz, aber dank eines überaus freundlichen Kapitäns sehr angenehm. Unsere kleine Reisegruppe genießt den Blick aufs Wasser, dann legen wir auch schon wieder an und es geht weiter.

SO VIELE FREUNDLICHE GESICHTER

Für mich als Neu-Berlinerin wird der Ausflug zu einer unverhofften Stadtrundfahrt, zumal die beiden ortskundigen Herren mich mit Informationen zu den Sehenswürdigkeiten versorgen, die links und rechts des Weges liegen. So sehe ich unter anderem den Spreepark Plänterwald, das Eierhäuschen und die Insel der Jugend. „Guck mal, wie voll die ist“, sagt Günter und wir sind alle froh, auf dem Festland zu bleiben.

Wo wir auch hinkommen, die Menschen schauen uns freundlich an. Selten habe ich in so viele strahlende Gesichter geblickt wie an diesem Tag. Offensichtlich sind wir eine kleine Attraktion, die viel Wohlwollen erntet. „Eine Bewohnerin hat mich mal gefragt, ob wir wieder Lächeln einfangen wollen“, beschreibt Bernd diesen Effekt sehr treffend.

RÜCKFAHRT DURCH DIE HASCHISCHHÖHLE

„So langsam tut mir der Arsch weh“, sagt Günter irgendwann. Hätten wir mal ein extra Kissen mitgenommen. Wir machen kurz Halt, Günter steht auf, hält sich am Geländer fest und blickt auf das Wasser. Dann geht es weiter, einmal durch den Görlitzer Park. „Das ist eine Haschischhöhle“, hatte mich Günter zuvor gewarnt. Heute brennen hier aber eher Grills als Joints.

kati cares – eine Fahrradrikscha für Senioren

Bis zum nächsten Mal! Günter verabschiedet sich von Bernd

Günter gähnt und auch ich bin etwas geplättet von der frischen Luft und den vielen Eindrücken. Einzig Bernd tritt unermüdlich in die Pedalen und so rollen wir zügig zurück bis vor den Eingang des Pflegeheims. Ohne Hilfe hievt Günter sich aus der Rikscha in seinen Rollstuhl. Er scheint zufrieden. „Jetzt noch eine rauchen und dann aufs Zimmer“, sagt er bei der Verabschiedung. Er ist nicht der einzige, der heute Nacht richtig gut schlafen wird.

Dieser Artikel wurde am 20. Mai 2018 veröffentlicht.

Radeln ohne Alter sucht ehrenamtliche Rikschafahrer

Habt ihr auch Lust, Senioren durch eure Stadt zu chauffieren? Dann engagiert euch bei Radeln ohne Alter. Der Verein ist stets auf der Suche nach ehrenamtlichen Helfern. Zeiten und Termine richten sich danach, wie ihr es in euren Alltag integrieren könnt – und natürlich nach dem Wetter. Bevor ihr in die Pedalen treten und Menschen befördern dürft, erhaltet ihr eine fachkundige Einweisung – begleitete Erstfahrt inklusive. Die Ansprechpartner der jeweiligen Städte findet ihr hier. Wenn es bei euch noch kein Radeln ohne Alter gibt, könnt ihr auch selbst einen Ortsverein gründen. Mehr dazu erfahrt ihr hier

ANZEIGE: Mein Herzensprojekt – ein Ratgeber im Taschenbuch-Format

Demenz verstehen – Ganzheitliche Expertentipps für Angehörige und Freunde. Von Kati Imbeck und Christine Berg. EAN: 9783968600093

1 Kommentar

  1. Eine tolle Initiative!!! Ganz wunderbar!

    Stelle mir vor, nicht mehr raus zu können – wie furchtbar wäre das!

    1000 Dank für dieses Engagement. Wusst bisher nicht, dass es das gibt. Gerne könnt Ihr meine Blogs zur PR nutzen und Gastartikel senden. Neben http://www.kunst-des-alterns.de gibt es auch das Berlinblog http://www.modersohn-magazin.de.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert