Senioren in Portugal

Senioren in Portugal

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GALÃO UND CARIOCA MIT MARÍA JESÚS

Wie ich in Lissabon zufällig eine 82-jährige Witwe traf – und mehr über die hiesige Grabkultur, Einsamkeit und Freundschaft im Alter erfuhr.

Lissabon – Zurzeit bin ich zum Arbeiten in Lissabon. Auch wenn ich ziemlich viel zu tun habe, halte ich natürlich stets Augen und Ohren offen für Geschichten über Senioren in Portugal. Eine davon fand ich ganz zufällig.

Es war Sonntag und ich unterwegs im historischen Stadtteil Graça, wo ich mir Streetart angeschaut habe – also Bilder lokaler Künstler an Mauern und Häusern. Als ich mich grade auf den Weg zur Haltestelle der berühmten Tramlinie „28“ machte, traf ich María Jesús.

ZUFÄLLIGE BEGEGNUNG MIT SENIOREN IN PORTUGAL

Wir standen an einer Straße und versuchten vergeblich, sie zu überqueren. Gnadenlos brausten die Autos an uns vorbei. „Die lassen uns nicht rüber, wir müssen uns dort hinstellen“ sagte die zierliche grauhaarige Frau auf Portugiesisch zu mir, und deutete auf einen rund drei Meter entfernten Zebrastreifen. Wir wechselten die Position und gelangten kurz darauf problemlos auf die andere Straßenseite. Ich bedankte mich bei ihr und wir verabschiedeten uns.

María Jesús vermisst ihren verstorbenen Mann sehr

Sie ging in ein Café. Einen Moment haderte ich mit mir. Ich wollte mich gern mit ihr unterhalten, hatte aber Sorge, dass sie das als aufdringlich empfinden würde. Dann siegte die Neugier, ich folgte ihr und fragte, ob ich mich zu ihr setzen dürfte. „Ja klar, setz dich.“ María Jesús schien erfreut über die unverhoffte Gesellschaft.

Als die Kellnerin kam, fragte sie, was es heute für eine Suppe gäbe. Grüne Bohnen. María Jesús verzog das Gesicht. „Die mag ich nicht so gern“. Sie bestellte sie trotzdem und dazu ein belegtes Brötchen. Ich nahm auch eine Suppe.

SENIOREN IN PORTUGAL: SOZIALE KONTAKTE IM CAFÉ

Wir stellten uns einander vor und begannen zu reden. Ihr Mann sei vor drei Jahren infolge eines Herzleidens gestorben. Nun komme sie jeden Tag hierher, erzählte mir María Jesús. Zuhause sei sie ja sonst immer allein. Nur der Kanarienvogel Nico leiste ihr Gesellschaft und alle zwei Wochen komme jemand zum sauber machen. Kinder hat sie keine. „Es fällt mir sehr schwer, allein zu leben. Am schlimmsten sind die langen Abende im Winter“, sagte sie mit Tränen in den Augen. Ich kann sie gut verstehen. Lissabon liegt zwar viel weiter südlich als Hamburg, aber auch hier geht die Sonne an den kürzesten Tagen gegen 17.15 Uhr unter.

Die Kellnerinnen schienen mein Gegenüber und ihre Vorlieben gut zu kennen. Eine verteilte großzügig Senf auf María Jesús Brötchen mit Schweinebraten und plauschte dabei mit ihr. „Das schmeckt mir“, sagte die 82-Jährige zu mir und bestellte sich einen Ananassaft dazu.

Auswärts zu essen ist ein wichtiger Bestandteil der portugiesischen Kultur. Für María Jesús scheint es ein Weg zu sein, im Alter unter Leute zu kommen und nicht in ihrer eigenen Wohnung zu vereinsamen. Doch nicht alle Senioren in Portugal können sich ein solches Leben leisten. Die durchschnittliche Rente lag einer Studie des Instituto BBVA de Pensões zufolge im Jahr 2016 bei 365,50 Euro. Die Lebenshaltungskosten sind zwar niedriger als bei uns – wer in Lissabon einen ähnlichen Standard wie der deutsche Druchschnittsbürger leben will, braucht aber auch um die 1.000 Euro pro Person und Monat.

LIMITIERTE GRÄBER AUF LISSABONER FRIEDHÖFEN

María Jesús Mann war Kaufmann. Sie muss ihn sehr geliebt haben. Als sie mir erzählte, wie er sie immer nannte – „Fininha“, die Zarte – kamen ihr wieder die Tränen. Begraben hat sie ihn außerhalb Lissabons. Hier sei es nämlich so, dass die Gräber nach vier bis fünf Jahren wieder geräumt werden müssten. Dann hätte man zwei Möglichkeiten: Einen Platz im Mausoleum mieten oder die sterblichen Überreste verbrennen.

Zum Kaffee isst María Jesús Milchreis, ich habe mir Zitronentorte bestellt

Bei dem Gedanken ans Verbrennen packe sie das pure Grauen, sagte sie. Also hat sie ihm für 500 Euro ein Grab vor den Grenzen der Stadt gekauft. Heute fährt sie regelmäßig mit dem Bus dorthin, um ihn zu besuchen. Später will sie auch dort begraben werden.

GALÃO, CARIOCA UND EINE VERSCHWUNDENE KARTE

Kaffeezeit. Ich bestellte mir einen Galão, den portugiesischen Milchkaffee. María Jesús wollte einen Carioca, das ist mit Wasser verlängerter Kaffee, erklärte sie mir. Die Kellnerin servierte ihr ungefragt ein Glas Milchreis dazu, ich entschied mich für ein Stück Zitronentorte.

Die Bestellungen wurden elektronisch auf einer kleinen Plastikkarte registriert, mit der man am Ende an die Kasse gehen musste, um zu bezahlen. Meine Karte lag vor mir auf dem Tisch, aber die von María Jesús schien nirgends auffindbar. Später erfuhr ich, dass die Mitarbeiter sie immer für sie verwahren, seit sie einige Male auf unerklärliche Weise abhanden gekommen ist.

UNTER FREUNDINNEN – SENIOREN IN PORTUGAL

Später am Nachmittag bekamen wir Gesellschaft. Ivone (79), eine Bekannte von María Jesús, setzte sich zu uns. Die beiden erzählten mir, dass sie sich jeden Tag hier treffen. Zu ihrer Gruppe gehörten außerdem noch weitere Senioren, die vermutlich bald eintrudeln würden.

Als ich mich verabschiedete, wirkten sie ein wenig enttäuscht. Aber ich hatte an dem Tag so viele neue Eindrücke in mich aufgesogen, dass ich wirklich nach Hause wollte. Ein bisschen neidisch auf ihre eingeschworene Gemeinschaft war ich aber schon – ob ich im Alter auch so häufig mit meinen Freundinnen im Café sitzen würde? Schön wärs.

Dieser Artikel wurde am 25. November 2017 veröffentlicht

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