Ahrensburg – Ach wie war das letzte Wochenende sonnig, ein erster Vorgeschmack auf den Frühling! Ich bin ja das ganze Jahr über mit dem Fahrrad unterwegs, aber in der warmen Jahreszeit macht es endlich wieder Spaß!
Weil das nicht nur mir so geht, sondern auch vielen alten Menschen, bin ich total begeistert von Fahrradrikschas für Senioren. Christine Berg, die Heimleiterin des Alten- und Pflegeheims Tobias-Haus in Ahrensburg, für das ich arbeite, sieht das genau so wie ich. Und so beschlossen wir im vorletzten Jahr, eine Fahrradrikscha für die Bewohner des Pflegeheims anzuschaffen.
Wir beide hatten zuvor auf Veranstaltungen schon Fahrradrikschas gesehen, unter anderem die von der Hartwig-Hesse-Stiftung in Hamburg, deren Mitarbeiter mir netterweise verriet, wo sie das Gefährt gekauft hatten. Zwei Modelle kamen schließlich in die engere Auswahl: Der Rollstuhltransporter Andros von Draisin (ab 4.935 Euro) aus Deutschland und das Modell T von Christiania Bikes (ab 3.398 Euro) aus Dänemark.
Ich gebe ja zu, ich war von vornherein voreingenommen für Letzteres, da ich ein absoluter Dänemark-Fan bin und die Räder nicht nur mit Funktion, sondern auch mit Style punkten. Was außerdem für den Hersteller Christiania sprach: Auf der Sitzfläche haben bis zu zwei schlanke Personen Platz – neben dem Frischluftfaktor haben die Rikschafahrten also auch eine soziale Komponente.
Ihr könnt es euch wahrscheinlich schon denken: Die Wahl fiel auf das Christiania Bike. Beim weiteren Kaufprozess stand uns der Hamburger Fahrradhändler Reckrad mit Rat und Tat zur Seite, der das Projekt auch klasse fand und uns direkt mit einer Spende sowie einer kostenfreien Lieferung nach Ahrensburg unterstützte.
Die Spende hatten wir dringend nötig, denn bei dem oben genannten Grundpreis blieb es natürlich nicht. Allein der unterstützende Elektromotor, der für solche Fahrten unbedingt zu empfehlen ist, schlug mit mehr als 1.500 Euro zu Buche. Außerdem entschieden wir uns noch für weitere Extras: Ein rotes Stoffdach für Regentage, Licht, ein Sitzkissen, ein Senioren Y-Gurt, einen Rückspiegel und absenkbare Fußstützen, damit die Bewohner besser transferiert werden können. Rund 7.000 Euro kostete die Anschaffung der Fahrradrikscha schließlich. Hinzu kamen noch Kosten für ein Schloss, eine Garage, die Versicherung sowie für die Gestaltung der Rikscha, dazu später mehr.
Bei der Finanzierung der Rikscha waren wir auf Spenden angewiesen – und zwar sowohl für die Anschaffung als auch für die oben genannten weiteren Posten. Die Heimleiterin als versierte Fundraiserin nutze ihre Kontakte und konnte so mehrere Unternehmen, Stiftungen und Organisationen als Spender gewinnen.
Ich unterstützte sie tatkräftig, unter anderem bei einem Vortrag vor den Mitgliedern eines Gesellschafts-Clubs. Außerdem verfasste ich zwei Projektkonzepte (eine Lang- und eine Kurzversion), schrieb Pressemitteilungen und platzierte unser Anliegen bei Gut für Hamburg – eine Plattform von betterplace.org und der Hamburger Sparkasse, auf dem man online Spenden für soziale Projekte in der Metropolregion Hamburg sammeln kann. Auf diese Weise gelang es uns, nicht nur die Kosten für die Anschaffung, sondern auch die oben genannten weiteren Kosten vollständig aus Spenden zu finanzieren.
Die Pflegeheim-Bewohner mit Ausfahrten in die Natur oder ins Stadtzentrum zu beglücken, reichte uns aber nicht. Wenn wir schon so einen Hingucker wie die Fahrradrikscha haben, möchten wir ihn auch öffentlichkeitswirksam einsetzen, dachten wir uns. Und was braucht ein Pflegeheim in diesen Zeiten am dringendsten? Bewohner? Nein, die ganz sicher nicht, die warten schon auf langen Listen darauf, dass sie endlich einen Platz bekommen. Gesucht werden Mitarbeiter, ganz besonders qualifizierte Pflegekräfte.
Also entschieden wir uns, auf der Fahrradrikscha Mitarbeiterwerbung anzubringen. Und weil wir wollten, dass die so richtig professionell aussieht, engagierten wir für die Gestaltung eine Werbeagentur, und zwar SteudingHeise aus Berlin. Die beiden Inhaber, Robby Steuding und Sebastian Heise, habe ich letztes Jahr in Berlin beim Deutschen Pflegetag kennengelernt. Dort waren sie, weil sie sich auf Werbung und Kommunikation für Pflegeunternehmen spezialisiert haben.
Sie entwickelten Werbetafeln, die am Gepäckträger angebracht wurden, sowie bunte Aufkleber für den Korb und Schilder für die Räder. Die Farben Rot und Orange sind nicht nur warm und auffällig, sie entsprechen auch dem Corporate Design des Tobias-Hauses. Auf den Rädern steht der Name der Fahrradrikscha, ÄltestenRad, ebenfalls eine Schöpfung der Werber. Als Slogan steht auf den Tafeln hinten: Willst du mit mir fahren gehen? Tolle Pflegejobs gibt’s im www.tobias-haus.de. Aber macht euch doch am besten selbst ein Bild.
Weil die Werber eben Werber sind und keine Werbemittelhersteller, mussten sie, als das Design fertig war, auch dafür noch geeignete Anbieter finden. Die Radverkleidung und die Werbetafeln kamen per Post, die Klebefolien wurden bei Cardesign in Hamburg-Langenhorn angebracht. Leider hat das Tobias-Haus kein Transportfahrzeug, in das die Rikscha reinpasst, und extra einen Wagen zu mieten, war uns zu umständlich. Also radelten Christine Berg und ich jeweils 20 Kilometer. Da waren es grade so um die 27 Grad im Schatten – und der Elektromotor wurde mein bester Freund!
So schick herausgeputzt war die Rikscha dann bereit für ihren großen Tag: die Jungfernfahrt. Als Piloten konnten wir dafür keinen geringeren gewinnen als den Ahrensburger Bürgermeister Michael Sarach. Eingeladen hatten wir alle Bewohner, Angehörige, Mitarbeiter, Ahrensburger Bürger und natürlich die Spender und Unterstützer. Und obwohl es an dem Tag kräftig schauerte, war das Café des Pflegeheims voll und zahlreiche Gäste testeten die Fahrradrikscha – sehr zum Leidwesen des Bürgermeisters, der im Wechsel mit der Heimleiterin tapfer in die Pedale trat und dabei klitschnass wurde.
Damit unsere Piloten bei der Fahrt nicht das Gleichgewicht verlieren – so eine Rikscha fährt sich nämlich durchaus etwas anders als ein Fahrrad – haben sie zuvor ein Fahrtraining absolviert. Dafür konnten wir das Matthias-Claudius-Heim in Hamburg-Wandsbek als Unterstützer gewinnen, das schon länger eine Fahrradrikscha hat. Der Bürgermeister entpuppte sich beim Fahrkurs übrigens als Naturtalent und erhielt seinen Führerschein (siehe Foto) bereits nach einer halben Stunde. Normalerweise dauert es aber schon so zwei Stunden, bis jemand so sicher fährt, dass man ihn mit Senioren an Bord auf die Straße lassen kann.
Da der Bürgermeister nicht immer Zeit hat, für das Tobias-Haus zu strampeln, sollen Mitarbeiter der Betreuung und ehrenamtliche Mitarbeiter die Fahrradrikscha betreiben. Der Andrang der Piloten ist groß. Um noch mehr ehrenamtliche Fahrer zu finden und uns mit Gleichgesinnten zu vernetzen, sind wir der globalen Initiative Radeln ohne Alter (Cykling Without Age) beigetreten.
Jetzt, da immer mehr wärmende Sonnenstrahlen und zwitschernde Vögel dazu einladen, lassen sich bereits die ersten Bewohner fröhlich durch die Gegend chauffieren. Ein 93-jähriger Herr berichtete mir, wie er gemeinsam mit einer Bewohnerin per Rikscha zur ehemaligen Fluchtburg Arnesvelde im Forst Hagen fuhr und sie dann zu Fuß zurückgingen – beide Strecken hätten sie nicht geschafft. „Das war schön, aber wenn man zu zweit hinten sitzt, ist die Rikscha schon eine Verlobungskutsche!“, sagte er und lachte.
Dieser Beitrag wurde am 26. Februar 2019 veröffentlicht.
Aufmacher-Foto: Claudia Thoelen / Tobias-Haus
Wir haben uns so über unsere Fahrradrikscha gefreut, dass wir das Projekt beim Schleswig-Holsteinischen Altenpflegepreis einreichten. Dort holte das Tobias-Haus den zweiten Preis – wir waren stolz wie Bolle! „Das Projekt schlägt drei Fliegen mit einer Klappe: es kommt den Bewohnern zugute, fördert das ehrenamtliche Engagement und macht Werbung für den Pflegeberuf“, sagte Michael Hempel, der Vorsitzende des Landespflegeausschusses, bei der Preisverleihung.
Weitere Blog-Beiträge rund um Fahrradrikschas für Senioren findet ihr hier:
In einer Rikscha nach Berlin – Aktion von Radeln ohne Alter zum Tag der Deutschen Einheit 2018
Fahrradrikscha für Senioren – Lächeln einfangen mit Günter aus Kreuzberg
9 Kommentare
Super Sache. Würde ich gerne als Diakon hier in Friesoythe ahs einführen.
Sehr schön, von diesen Projekten kann es nicht genug geben. Viel Erfolg!
Eine ganz tolle Sache! Leider wird die Anschaffung vom Preis her fast unmöglich sein. Mir kommen da immer gleich Projekte in den Kopf. Schulprojekte, Ausbildungsprojekte… Gemeinsam wirken Alt und Jung zusammen. In der Schule, aber auch in Ausbildungsstätten könnte im Rahmen eines Projektes doch z.B. solch ein Fahrrad entstehen. LG
Liebe Gabi,
es gibt immer die Möglichkeit, Spenden zu sammeln. Grade wenn der Einsatz einem sozialen Zweck dient, sind Menschen, Unternehmen oder Stiftungen oft dazu bereit, etwas zu geben.
Alles liebe und viel Erfolg
Kati
Guten Abend:)
Ich finde es eine so schöne Idee und bin begeistert von dem Ältestenrad. Gerne würde ich das Seniorenheim in dem meine Mutter lebt, für den Erwerb einer solchen Fahrradrikscha überzeugen. Könnten Sie mir eine Adresse nennen,an wen ich mich wenden kann und evtl. wie teuer die Anschaffung wäre? Vielen Dank dafür
MfG Sabine Landstorfer
Hallo Sabine,
wie schön, es freut mich, wenn ich mit dem Beitrag zu mehr Fahrradrikschas inspirieren kann 🙂 Am besten, du wendest dich an https://radelnohnealter.de/ oder schaust dort bei den Standorten, ob es einen in deiner Nähe gibt. Die können dir dann bestimmt einen Händler empfehlen, der Rikschas vertreibt. Zu zwei Modellen hatte ich in dem Beitrag oben ja auch schon Preise angegeben: der Rollstuhltransporter Andros von Draisin (ab 4.935 Euro) aus Deutschland und das Modell T von Christiania Bikes (ab 3.398 Euro) aus Dänemark. Da der Beitrag vom letzten Jahr ist, würde ich die Preise aber an deiner Stelle nochmal beim Hersteller nachschauen, da sich die ja auch geändert haben können.
Viele Grüße und viel Erfolg!
Kati
Hallo Kati, tolle Sache, wie habt Ihr die Versicherungsfrage gelöst. Wie sind verschiedene ehrenamtliche Fahrer abgesichert für den (hoffentlich nie eintreffenden) Fall dass mal was passiert. Die ehrenamtlichen Piloten sollen das ja nicht auf eigenes Risiko machen.
Hallo Martin, wie die Pilot*innen versichert sind, hängt davon ab, wie das Rikscha-Angebot organisiert ist. Wenn es an eine Einrichtung oder einen Verein oder Ähnliches angeschlossen ist, können ehrenamtliche Mitarbeiter meines Wissens darüber versichert werden. Frag doch einfach mal bei Radeln ohne Alter ( https://radelnohnealter.de/) nach, welche Möglichkeiten es da noch gibt. Ganz viel Erfolg bei der Umsetzung! Liebe Grüße, Kati
Tolle Sache!
In Münsingen (Schweiz) soll auch ein solches Velo (= Fahrrad) angeschafft werden.
Bei der Recherche bin ich auf https://radelnohnealter.ch/ gestossen: Dort gibt es seitenweise Text mit Argumentaion, wieso und warum und für wen eine Fahrradrikscha denn von Nutzen ist.
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