Nationale Demenzstrategie

Nationale Demenzstrategie

Nationale Demenzstrategie

NORWEGEN HAT EINEN PLAN

Neun Vorträge in sechs Stunden – bei der Studienreise nach Norwegen standen heute Forschung, Best Practice und die nationale Demenzstrategie im Fokus

Oslo – Am zweiten Tag der Studienreise „Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus“ nach Norwegen ging es inhaltlich richtig zur Sache. Wir waren zu Gast im Ullevål-Universitätskrankenhaus in Oslo. Dieses bildet zusammen mit dem Reichshospital und dem Aker Universitätskrankenhaus die Universitätskliniken Oslo. Mit über 14 medizinischen Abteilungen, in denen mehr als 1,2 Millionen Patienten im Jahr behandelt werden, der größte Klinikverbund Skandinaviens. Insgesamt 40.000 Mitarbeiter arbeiten an 40 Standorten für die staatlichen Krankenhäuser. Etwa die Hälfte der gesamten norwegischen Forschung im Gesundheitsbereich wird von den Universitätskliniken Oslo geleistet.

DEMENZ- UND DELIRFORSCHUNG AN DER UNI OSLO

Kein Wunder also, dass einige der Referenten eine recht wissenschaftliche Perspektive auf das Thema Demenz hatten. So berichtete etwa der Doktorand Bjørn Erik Neerland von der Delirium Research Group über Forschungsergebnisse  zum Thema Delir, die zum Teil so einzigartig seien, dass es noch gar keine Vergleichswerte gebe, um sie einzuordnen. Was Delir ist, könnt ihr im Info-Kasten unter meinem Blog-Bericht von gestern nachlesen.

Für mich als Pflegewissenschaftlerin sehr spannend war der Vortrg von Marit Kirkevold, Professorin und Dekanin des Departements für Pflegewissenschaften, die uns einen Einblick in die Demenzforschung aus der Perspektive ihrer Disziplin gab – beispielsweise anhand einer Studie, in der es darum geht, wie Menschen mit Demenz gemeinsam mit Angehörigen und Pflegekräften an Entscheidungen partizipieren können und welche möglichen Probleme dadurch entstehen.

Nationale Demenzstrategie Bjørn Erik Neerland forscht an der Universität Oslo über Delir

Bjørn Erik Neerland forscht an der Universität Oslo über Delir

 

Besonders beeindruckt hat mich außerdem der Vortrag von Janne Røsvik, die aus dem Konzept zur personenzentrierten Pflege von Menschen mit Demenz nach Tom Kitwood die Punkte herausgearbeitet hat, die für die Versorgung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus besonders wichtig sind. Zum Beispiel Validation, die soziale und physische Umwelt sowie die Berücksichtigung der Stärken und der persönlichen Geschichte des Patienten mit Demenz.

VON INTERDISZIPLINÄREN TEAMS UND KINDERFILMEN

Ergänzend zur Theorie haben wir Praxisbeispiele kennengelernt, etwa die interdisziplinären Memory-Teams, denen unter anderem Pflegekräfte und Ergotherapeuten angehören und die eng mit den Hausärzten zusammenarbeiten. Ihr Ziel ist es, Menschen nach der Diagnose Demenz zu begleiten und durch regelmäßige Verlaufskontrollen bei einer Verschlimmerung rechtzeitig für Unterstützung zu sorgen. „Ich finde es klasse, dass hier multiprofessionelle Teams auf Augenhöhe zusammenarbeiten – das kenne ich aus Deutschland nicht“, sagt Teilnehmer Florian Tölle, der im Diakovere Krankenhaus in Hannover für Pflege- und Organisationsentwicklung zuständig ist.

Ein weiteres Beispiel ist die Memory-Klinik des Ullevål-Universitätskrankenhauses, bei der Ärzte verschiedener Fachrichtungen Hand in Hand mit Pflegekräften arbeiten um abzuklären, ob junge Patienten oder Menschen mit uneindeutiger Diagnose an Demenz oder einer anderen Erkrankung leiden. Für ein Erstgespräch mit den Patienten nehmen sich Geriater Peter Bekkhus-Wetterberg und seine Kollegen im Schnitt drei Stunden Zeit, schwierige Diagnosen werden einmal die Woche im multiprofessionellen Team diskutiert. „Auf diese Bedingungen und die Bereitschaft der Mitarbeiter, so eng zusammen zu arbeiten, bin ich ein wenig neidisch“, sagt Teilnehmerin Kristina Gartzen, Ärztin für Psychiatrie, Neurologie und Geriatrie im Haus Berge der Contilia Gruppe in Essen.

Für Kinder und Jugendliche, deren Mutter oder Vater an Demenz erkrankt ist, wurden ebenfalls besondere Maßnahmen entwickelt, unter anderem ein presigekrönter Film sowie ein Sommercamp. Das finde ich bemerkenswert, zumal die Zahl der jungen Norweger, bei deren Elternteil eine demenzielle Veränderung diagnostiziert wird, bei geschätzt 200 bis 300 pro Jahr liegt – die der unter 18-Jährigen sogar nur bei 50 bis 75. Den Film (auf Englisch) könnt ihr euch hier anschauen:

EINE NATIONALE DEMENZSTRATEGIE

Ein großer Vorteil, den die Norweger in punkto Versorgung von Menschen mit Demenz uns gegenüber haben: Es gibt eine nationale Demenstrategie. Ziel des „Demensplan 2020“ – vor dem bereits ein „Demensplan 2015“ umgesetzt wurde – ist es unter anderem, die gesellschaftliche Akzeptanz der Erkrankung zu fördern, Demenz und die damit verbundenen Herausforderungen auf die Agenden der Kommunalregerungen zu hieven und langfristig Bedingungen zu schaffen, die den Bedürfnissen von Menschen mit Demenz und ihren Familien gerecht werden. Begünstigt wird der Erfolg einer solchen „von oben“ verordneten Strategie freilich dadurch, dass das Gesundheitssystem in Norwegen überwiegend aus Steuermitteln finanziert und für alle Bürger zugänglich ist. Das heißt, Krankenhäuser wie die Universitätsklinik Oslo befinden sich in staatlicher Trägerschaft.

Einen Vergleich des deutschen und des norwegischen Gesundheitssystems von Daniel Tucman, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung, könnt ihr euch hier herunterladen:

Tucman: Gesundheitssysteme im Vergleich

 

Weitere Berichte zur Studienreise Demenz im Krankenhaus findet ihr hier:

Tag eins: Studienreise nach Norwegen

Tag drei: Häkeln statt fixieren

Tag vier: Schmerztherapie bei Demenz

Tag fünf: Interdisziplinäres Teamwork machts möglich

 

Dieser Artikel wurde am 30. Mai 2017 veröffentlicht

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2 Kommentare

  1. Wettstein sagt:

    Wir arbeiten mit Mobility Monitoring um Schmerzen interpretieren zu können und haben grosse Erfolge.Dazu gehört die Schlafüberwachung wo wir besonders stolz sind. Unsere 16 Bewohnenden schlafen in der Nacht und sind tagsüber aktiv!

  2. Johanna sagt:

    Sehr interessanter Bericht. Danke für die Infos und für die Mühen.

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